«Poppy spring flower still life, 2020», © Michel Comte

CEWE Photo Award

«In meinem Leben gab es keine einzige ruhige Phase.»

Der Schweizer Michel Comte ist ein Superstar der Fotografie und übernimmt den Vorsitz als Präsident der Jury des ­­CEWE ­Photo ­Awards. Ein Gespräch.

Monsieur Comte, jeder kennt Sie als Modefotograf. Aber was fotografieren Sie heute?

Vor allem Porträts. Und zwar nicht nur von Prominenten, sondern von Menschen wie du und ich. Das ist meine Antwort auf das Aufgesetzte der Fashion- und Beauty-Industrie. Ich will das echte Leben einfangen und mit allen teilen. Ich geniesse es, frei zu arbeiten, ohne Druck von Kunden. Einmal hatte ich alle geforderten Bilder schon vor 11 Uhr im Kasten und mein Kunde meinte, ich müsse bis 16 Uhr weiterfotografieren. Schliesslich bezahlte er mir den ganzen Tag. Um dann am Ende ein Bild von 10.30 Uhr auszuwählen. (lacht)

Porträt Michel Comte, © Michael Peterson
Porträt Michel Comte, © Michael Peterson

Wie war es, der kommerziellen Fotografie den Rücken zu kehren?

2007 und 2010 hatte ich zwei grosse Unfälle und war für einige Zeit paralysiert und konnte nicht mehr richtig sehen. Das macht natürlich etwas mit einem, der immer aktiv war und von seinem Blick auf die Welt lebt. Zum Glück habe ich das alles in den Griff bekommen. Die ersten Jahre waren aber auch aus künstlerischer Sicht nicht einfach: Es hat bestimmt fünf Jahre gedauert, bis ich nicht immer nur nach Retrospektiven gefragt wurde, sondern es bei Ausstellungen auch um mein neues Werk ging. Dabei habe ich schon immer sehr viel abseits meiner kommerziellen Aufträge fotografiert. Ich hatte nie eine ruhige Phase! Als Kriegsfotograf war ich in Afghanistan, im Irak, im Kosovo, in Kingali­, ... Ich habe Leute wie Osama bin Laden getroffen. Und dann wieder Claudia Schiffer fotografiert. 1986 war ich im Himalaya und war dort ein früher Zeuge des Klimawandels – und begann die grossen Gletscher der Welt zu fotografieren. Bilder, die heute in grossen Museen hängen.

Warum sind Sie Fotograf geworden?

Eine Begeisterung für das Medium Fotografie entwickelte ich schon als kleiner Junge. Bei uns zu Hause lagen immer Bildbände herum, sodass mich zum Beispiel das Werk von Henri Cartier-Bresson früh faszinierte. Die Kraft, die ein Bild haben kann, ist einfach wunderbar! Ab etwa sechs Jahren hatte ich eigentlich immer eine Kamera dabei. Später hatte ich das Glück, mit Andy Warhol zu arbeiten und wurde Ende der 70er-Jahre von Karl Lagerfeld entdeckt. Heute widme ich mich meinen eigenen Projekten. Inspiration nehme ich auch aus der Malerei: Die Arbeit und vor allem Evolution des britischen Malers Lucian Freud beeinflusst mich bis heute stark.

«Cuba Tornado Scott and Connor Tingley, Vogue Russia, 2016»,  © Michel Comte
«Cuba Tornado Scott and Connor Tingley, Vogue Russia, 2016», © Michel Comte

Welche Bedeutung hat Fotografie für Sie?

Meine Kollegen und ich, die zur Hochzeit der Modefotografie erfolgreich waren, sind alle Produkte dieser grossartigen Firmen. Andererseits sind wir aber auch Künstler. Deswegen habe ich immer an eigenen Projekten gearbeitet. Mein Motto: «Follow your instincts – and create magic.»

Womit fotografieren Sie heute?

Mal habe ich jeden Tag meine Leica Monochrome dabei, mal nehme ich vor allem mein iPhone. Ich finde es klasse, dass dank Smartphones und digitaler Technik heute im Prinzip jeder immer fotografieren kann. Wenn ich für ein Projekt die maximale Auflösung brauche, greife ich zu Hasselblad oder Alpa. Ich habe schon immer gern mit Technik experimentiert, zum Beispiel als ich die Formel 1 mit drei 8x10-Fachkameras fotografiert habe. Bernie Ecclestone wollte mich loswerden, aber Michael Schumacher hat dafür gesorgt, dass ich weitermachen durfte.

«Scarlett Johansson, 2016», © Michel Comte
«Scarlett Johansson, 2016», © Michel Comte

Wie gewinne ich beim CEWE Photo Award?

Überraschen Sie mich! Wir brauchen neue Wege, um die Welt zu sehen. Jeder schaut heutzutage dauernd in sein Smartphone. Und wenn sich das Sehen verändert, muss sich auch die Fotografie ändern, um weiter Dialoge anstossen zu können.

«Let the children play, scottish kidd, Vogue Bambini, 2017», © Michel Comte
«Let the children play, scottish kidd, Vogue Bambini, 2017», © Michel Comte

Michel Comte, Superstar der Fotografie

Michel Comte (*1954 in Zürich) absolvierte zuerst eine Ausbildung als Restaurator, bevor er sich als Autodidakt der Fotografie widmete. Mit 25 Jahren wurde Comte erstmals von Karl Lagerfeld für eine grosse Werbekampagne engagiert. Innerhalb weniger Jahre avancierte Michel Comte zu einem der gefragtesten Fashion-, Porträt- und Aktfotografen weltweit und hat die Fotokunst nachhaltig beeinflusst. Michel Comte entwickelte alsbald ein gesteigertes Interesse für Reportage- oder Dokumentarfotografie und ist als Reporter für das Internationale Rote Kreuz tätig.

michelcomte.org